Wenn einem Hören und Sehen vergehen -
 „Szenenwechsel“ wie ältere Menschen mit einem Handikap leben? Dies wird „hautnah“ in den Bürgerhäusern Obervieland und Oslebshausen erfahrbar.

Elke Munderloh, Maite Muñoz, Marita Klumpe, Anna Hünneke

(c) Elke Munderloh, Maite Muñoz, Marita Klumpe, Anna Hünneke

Das gesellschaftliche Miteinander im Quartier wird durch die dort lebenden Menschen gestaltet. Hier entwickeln sich Nachbarschaften, die Sicherheit geben können und die die Lebensqualität steigern können. Eine Beziehungskultur, die den Kitt unserer Gesellschaft bildet, die Solidarität. Solidarische Beziehungen wünschen sich Menschen unabhängig von Alter und Kultur. Sie sind eine Grundlage für das friedliche Zusammenleben, für eine positive Entwicklung und Gestaltung unseres Lebensraums. Sie entwickeln sich, wenn wir unsere Nachbarn verstehen, wenn wir verstehen, was uns und unsere Nachbarn bewegt. Unsere Gesellschaft wird zunehmend älter und auch wenn Alter nicht gleich Krankheit bedeutet, so steigt doch mit zunehmendem Alter das Risiko zu erkranken und mit einem Handikap zu leben. Wie leben die Menschen mit einem Handikap in unserem Quartier?

Wer beim „Szenenwechsel“ mitmacht, sollte Lust auf einen Rollentausch haben, denn die Teilnehmer:innen schlüpfen für 4 bis 5 Stunden in die Rolle von älteren Menschen mit Handikap. Spielerisch erleben die Teilnehmer:innen hautnah, mit welchen Herausforderungen Menschen mit Handikap leben. Das Projekt wendet sich gegen Altersdiskriminierung, gefördert wird die Empathie.

Wie es ist, mit diesen Handikaps zu leben, können sowohl Erwachsene als auch Schüler:innen ab der achten Klasse, aber auch Nachbarschaftshelfer:innen oder Sporttrainer:innen erfahren, die in ihrem Job häufig mit älteren Menschen arbeiten. Mithilfe eines Alterssimulationsanzuges und Rollenspielen werden unterschiedliche Handikaps, die das Hören, Sehen, Bewegung und Sensibilität sowie die Kraft im Alter betreffen, in Kleingruppen an fünf unterschiedlichen Stationen vorgestellt, besprochen und annähernd erfahrbar gemacht. 

Ein kleiner Einblick: Durch unterschiedliche Brillen können die Teilnehmer:innen erfahren, wie die Welt mit grünem oder grauem Star und anderen Einschränkungen des Sehens erscheint. Durch den Alterssimulationsanzug wird erfahrbar, wie sich Menschen bewegen, die einen Kraftverlust durchlebten. Arthrose in den Händen wird über spezielle Handschuhe des Anzuges simuliert und in Form eines Rollenspiels wird eine Einkaufssituation nachgespielt: Teilnehmer:innen ausgestattet mit dem Arthrose-Handschuh absolvieren einen Bezahlvorgang mit passendem Münzgeld. Hinter ihnen staut sich die Schlange an der Kasse. 

Ausgestattet mit Rollstühlen, Rollatoren und Materialien, welche unterschiedlichen Handikaps simulieren, geht es anschließend ganz praktisch, in Kleingruppen in die Stadtteilerkundung. Hier sind unterschiedliche Aufgaben zu lösen, so z.B. das Einkaufen in einem Supermarkt, das Fahren mit einer Straßenbahn, das Nutzen eines Aufzugs oder auch der Rampe zu einem öffentlichen Gebäude. Ein:e Gruppenteilnehmer:in übernimmt die Funktion der Wächter:in und dokumentiert die Stadtteilerkundung per Foto und Notizen und achtet auf die Sicherheit der übrigen Teilnehmer:innen. Alle erleben im Rollstuhl, mit Brillen, Kopfhörern oder auch Bandagen, wie ein Alltag mit Behinderungen im Quartier verlaufen kann. Nach der Stadtteilerkundung kommen die Teilnehmer:innen zusammen, um das Erlebte anhand der Fotos zu besprechen und ein Fazit zu ziehen.

Die Schüler:innen der achten Klasse der Wilhelm-Kaisen-Oberschule in Bremen nahmen teil an einem solchen „Szenenwechsel“. „Alle waren von dem Projekt sehr angetan“, sagt Lehrerin Sina Meyer, „denn sie haben ganz neue Erfahrungen gemacht, die ihnen auf andere Art kaum möglich wären. Und die Schüler:innen waren nach diesem Tag eher in der Lage, die Herausforderungen anzuerkennen, die ältere Bürger:innen in Obervieland jeden Tag erfolgreich meistern. Über diese Einschränkungen nicht nur zu reden, sondern sie auch am eigenen Leib zu erfahren, führte bei den Jugendlichen zu mehr Sensibilität für diese Altersgruppe und außerdem waren die Übungen auch gut für die Gruppendynamik in der Klasse: Die Schüler brachten mehr Verständnis für die Eigenschaften eines Jeden auf.“

Nach der Veranstaltung sind sich in der Regel alle Teilnehmer:innen einig, Alter bedeutet Kompetenz, für Menschen mit Handikap empfinden wir höchsten Respekt.

Das Vorhaben wird vom Bundesamt für politische Bildung im Rahmen des Projekts „Schule ohne Rassismus“ empfohlen und durch Freiwillige des Bürgerhauses Obervieland und des Bürgerhauses Oslebshausen, kostenlos in Bremer Schulen angeboten.

(c) Elke Munderloh, Maite Muñoz, Marita Klumpe, Anna Hünneke

Autor:

Elke Munderloh, Pflegewissenschaftlerin und Gründerin des Projekts "Szenenwechsel", engagiert sich seit Jahren leidenschaftlich für soziale Teilhabe. Nach ihrer langjährigen Tätigkeit als Leiterin des Begegnungszentrums im Bürgerhaus Obervieland setzt sie auch im Ruhestand ihre Arbeit ehrenamtlich mit großer Hingabe fort.

Maite Muñoz, Gesundheitswissenschaftlerin und Leiterin des Begegnungszentrums im Bürgerhaus Oslebshausen, unterstützt das Projekt seit einem Jahr. Mit ihrem Engagement und frischen Ideen trägt sie entscheidend zur Weiterentwicklung von "Szenenwechsel" bei.

Marita Klumpe, ehemalige Sozialarbeiterin und nun im Ruhestand, bringt durch ihre umfassende Erfahrung und ihr tiefes Verständnis für soziale Arbeit wertvolle Impulse ein. Mit Herzblut und Fachwissen bereichert sie die Projektarbeit.

Anna Hünneke, das jüngste Mitglied im Team, arbeitet bei der BRAS und engagiert sich seit vielen Jahren im sozialen Bereich. Mit ihrer Begeisterung und ihrem Elan bringt sie frischen Wind und neue Perspektiven in das Projekt.

Alle vier Autorinnen teilen die Überzeugung, dass soziale Teilhabe unverzichtbar ist. Ihr gemeinsames ehrenamtliches Engagement und ihre vielfältigen Kompetenzen tragen entscheidend zum Erfolg und zur Weiterentwicklung von "Szenenwechsel" bei.

Organisationen:

Bürgerhaus Oslebshausen e.V.

Am Nonnenberg 40, 28239 Bremen

www.bghosl.de/

Bürgerhaus Gemeinschaftszentrum Obervierland

Alfred-Faust-Straße 4, 28279 Bremen

www.bgo-bremen.de

bras e.V.

Stavendamm 8, 28195 Bremen

www.bras-netzwerke.de