
(c) Veit Hannemann
Nachbarschaftshäuser im Krisenumfeld
Soziale Segregation prägt unsere Städte und Unterschiede zwischen Arm und Reich gibt es seit langem. In den letzten beiden Jahrzehnten ist allerdings die Ungleichheit der Vermögensverteilung dramatisch angewachsen. Seit mehreren Jahren äußert eine deutliche Mehrheit von Bürger*innen die Überzeugung, dass die sozialen Unterschiede zu groß geworden sind. Die Wahrnehmung zunehmender sozialer Ungleichheit führt dazu, dass Vertrauen in den sozialen Zusammenhalt schrumpft. Einer Mehrheit in Deutschland ist jedoch sozialer Zusammenhalt wichtig (More in Common 2019: 30ff.).
Die Entstehung sozialen Zusammenhalts beruht auf subjektiven Erfahrungen: Vertrauen in das soziale Umfeld, Erfahrung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und der Möglichkeit ein zukunftsbezogenes Leben zu führen. Gefährdungen ergeben sich dagegen durch Zurückweisung, mangelnde soziale Teilhabe oder Verunsicherung der eigenen Lebensführung. Zugleich hat Zusammenhalt strukturelle Voraussetzungen: Öffentliche Güter und funktionierende Infrastrukturen müssen vorhanden sein (Kersten et al. 2022: 19).
Immer mehr Menschen nehmen jedoch wahr, dass Infrastrukturen schlecht funktionieren oder ganz ausfallen, sich ihre soziale Lage aufgrund von Inflation, steigenden Mieten etc. verschlechtert und damit auch ihre Teilhabe eingeschränkt wird. Die Krisen der letzten Jahre (Corona-Pandemie, Klimakrise, Kriege in der Ukraine und Nahost) sorgen bei vielen für Verunsicherung. Das Vertrauen schwindet, diese “Polykrise” könnte überhaupt noch bewältigt werden (vgl. WZB 2024/ More in Common 2019, S.111ff). Das Vertrauen in das Funktionieren demokratischer Prozesse und die Problemlösungskompetenz von politischen Parteien und Politiker*innen nehmen deutlich ab. Fatalerweise steigt dagegen die Zustimmung für autoritäre Lösungen (Pickel et al. 2024: 181ff.).
Seit Jahrzehnten beobachten wir einen Strukturwandel der Zivilgesellschaft: Großorganisationen wie Parteien, Kirchen und Gewerkschaften verlieren an Bedeutung und immer mehr soziale Orte wie Schwimmbäder, Postfilialen, Jugendclubs, Bibliotheken etc. schließen und fallen damit als Begegnungs- und gesellschaftliche Integrationsorte weg (Manthe 2024: 11). Propagiert wird ebenfalls seit Jahrzehnten - dem dominanten neoliberalen Wirtschaftsverständnis folgend - die Individualisierung der Lebensgestaltung. Die Folgen sind immer stärkere Vereinzelung und Entsolidarisierung. Vor allem bei vielen ärmeren Gesellschaftsmitgliedern steigt dadurch das Risiko der sozialen Isolation und Vereinsamung. In Folge von Lockdown-Entscheidungen während der Coronapandemie wuchs Einsamkeit weiter an, gingen soziale Kompetenzen aus Mangel an Begegnung verloren. Verstärkt werden diese Trends zusätzlich dadurch, dass immer mehr Menschen inzwischen größtenteils über soziale Medien kommunizieren. Stadtbewohner*innen bewegen sich und kommunizieren immer mehr in homogenen sozialen Netzwerken.
“Die Entstehung homogener sozialer Netzwerke folgt [...] auch alltäglichen Prozessen der Wahl von Freundeskreisen und Vergemeinschaften entlang von Vorlieben, Zugehörigkeiten und Werthaltungen, die vor allem dann zum Problem werden können, wenn die Sensibilität für soziale Abschließungen und damit die Bereitschaft schwindet, sich auch jenseits der eigenen Netzwerke auf soziale Interaktionen einzulassen – wenn also die eigene Blase zur Komfortzone wird.” (FGZ 2023: 6).
Trotz Segregation und Vereinzelung Menschen erreichen können
In einer sozialpsychologischen Studie von More in Common zum Zustand und zur Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft werden sechs gesellschaftliche Typen unterschieden (More in Common 2019), die sehr divergente Sichtweisen auf Gesellschaft haben, sich nicht gleichermaßen eingebunden fühlen und sich teilweise grundlegend in ihrer Zuversicht und Zufriedenheit mit ihrem persönlichen Status und den Entwicklungen in Deutschland unterscheiden. Eine neuere Befragung von More in Common zum Thema Begegnung belegt nun, dass die Segmente auch unterschiedlich empfänglich für Ansprache und Begegnung sind. (More in Common 2021: 27)
Alltagsorte wie Nachbarschaftshäuser und Stadtteilzentren werden dagegen - wenn auch unterschiedlich oft - von verschiedenen Menschen besucht, auch von vielen, die zum sogenannten “unsichtbaren Drittel” (Die “Pragmatischen” und die “Enttäuschten”, ca. 30% der Bevölkerung) gezählt werden können. Es macht Sinn, genauer zu prüfen, wie für sie und mit ihnen sozialer Zusammenhalt gefördert werden kann. Zunächst sind sie z.B. dadurch charakterisierbar, dass sie im Vergleich zum Rest der Bevölkerung als sozial und politisch schlechter integriert gelten. Sie sind häufiger einsam, erfahren subjektiv weniger Unterstützung, und gehen seltener wählen. Diese Gruppe ist auch schlechter für gesellschaftspolitische Arbeit erreichbar (More in Common 2021: 7). Das “unsichtbare Drittel” gibt an, dass sie nur mit wenigen Menschen bzw. immer denselben Menschen in Kontakt stehen. Zugleich fällt es ihnen nach eigener Aussage schwer, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die anders sind als sie selbst (ebd.: 14).
Sie fühlen sich von Formaten, die ein aktives Interesse und Mitgestalten erfordern, am wenigsten angesprochen. Auch bei der Neigung, neue Dinge oder neue Menschen kennenzulernen, zeigt sich, dass sie daran deutlich weniger Interesse haben. Viele von ihnen äußern, sie fühlten sich bei der Begegnung mit neuen Menschen unsicherer und ungeschützter. Fast die Hälfte der Befragten aus dieser Gruppe vermeid eher Diskussionen und Formate, in denen sie ihre Meinung zum Ausdruck bringen sollten (ebd.: 30).
Einfach zugängliche Angebote, die nah an der Lebenswelt der Menschen sind, sind offensichtlich ein besserer Türöffner als politische Inhalte (vgl. ebd.: 38). Angebote müssen zudem “locker”, “kostenfrei” und dicht an ihren persönlichen Interessen (über die sie auch am ehesten mit anderen sprechen) und Bedürfnissen liegen.
Nachbarschafts- und Mehrgenerationenhäuser sind von Bedeutung, weil sie auch dem oben beschriebenen “Unsichtbaren Drittel” der Gesellschaft Gelegenheiten bieten, anderen zu begegnen. Andere Orte wie Cafés und Restaurants scheiden dagegen für viele aus, weil dort oft zu hochpreisig konsumiert werden muss. Nachbarschaftshäuser können also weiterer Vereinzelung sowie einer Tendenz zur Bildung homogener sozialer Netzwerke entgegenwirken. Das Vorhandensein der Orte an sich ist jedoch unzureichend, um sozialen Zusammenhalt wachsen zu lassen. Da Anlässe für das Aufsuchen einer Einrichtung nicht automatisch zu einem zwischenmenschlichen Austausch führen, kommt es darauf an, was genau an diesen Orten ermöglicht wird.
Menschen, die Nachbarschaftszentren besuchen, tun dies entweder um ein einzelnes Angebot wahrzunehmen, da reicht die Angebotspalette von der Sozial- und Mieterberatung, über Tanzkurse und das Erzählcafé bis zum Backen, Pflanzen oder Reparieren. Zugleich kommen sie, weil sie darauf hoffen, ein offenes Ohr zu finden, auch wenn sie den Wunsch nicht immer eingangs schon formulieren wollen.
Wo sich Menschen wie in Beziehung setzen können
Wenn sich Menschen physisch begegnen, face to face, nicht über soziale Medien, findet synchrone Wahrnehmung statt. Innerhalb eines Raums nehmen sie viele verschiedene Zustände wahr, Licht, Gerüche, weitere Personen, die unterschiedlich agieren und sich in verschiedener Weise aufeinander beziehen. Auch, wenn noch gar nicht miteinander gesprochen wird, kommunizieren sie doch bereits durch Körpersprache. Die Beobachtung anderer Menschen zeigt ihnen, dass diese anders sind als sie selbst, Unterschiede bekommen so Gesichter und werden mit konkreten Menschen verbunden. Für die Demokratie ist dieses, sich gegenseitig wahrnehmen und aufeinander beziehen, essenziell wichtig. Es ist Voraussetzung dafür, sich als legitime Andere anzuerkennen und bei unterschiedlichen Auffassungen oder Interessen Kompromisse bilden zu können (vgl. Manthe 2024: 17ff.). Der Soziologe Rainald Manthe spricht in seinem aktuellen Buch “Demokratie fehlt Begegnung” von der demokratischen Irritation: “Wir sind irritiert über einzelne Merkmale oder Handlungen von Menschen, die anders sind, als wir es von ihnen erwartet hätten. Unsere Stereotypen sind meistens extremer als die Realität.” (ebd.: 20) Immer wieder kommt es vor, dass uns sogar bei Menschen, die wir schon besser kennen, Details ihrer äußeren Erscheinung, ihre Reaktionen auf Vorkommnisse, Verhaltensweisen oder Meinungsäußerungen irritieren. Diese Irritationen wirken Stereotypen entgegen und wir brauchen sie, damit Gruppen sich nicht so leicht gegeneinander abschließen, sondern andere Menschen als legitime Mitglieder derselben Gesellschaft akzeptieren (ebd.: 20).
Nun gehen Menschen auch an Begegnungsorten nicht immer von sich aus auf andere zu. Es kommt also auf die Gestaltung von Empfangssituationen an. Zunächst geht es darum, Besucher*innen willkommen zu heißen. Wir können ihnen die Einrichtung zeigen, ihnen andere Besucher*innen vorstellen, oder wir erläutern ihnen die Angebote, die sie interessieren. Ein Austausch mit anderen muss oft - möglichst unaufdringlich - angebahnt werden. Erfahrungsgemäß ist es besser, nicht primär die Unterschiedlichkeit der Menschen in den Vordergrund zu stellen, sondern einen Rahmen an Gemeinsamkeiten zu schaffen, in dem Unterschiede eher ‘beiläufig’ thematisiert werden können (More in Common 2021: 45). Und es zeigt sich häufig auch, dass es hilfreich ist, darum zu bitten, zunächst potenziell konfliktive Themen z.B. Religion oder Politik auszuklammern, damit bei der Begegnung zwischen Quartiersbewohner*innen persönliche, alltägliche und lokale Aspekte im Vordergrund stehen.
In vielen Stadtteilen nehmen wir wahr, dass als Folge von Marginalisierung, Verunsicherung und von Ohnmachtsgefühlen vieler Bewohner*innen psychosoziale Belastungen zunehmen und sich die Stimmungslage verschlechtert hat. Menschen erscheinen häufig gestresster, Begegnungen im Alltag sind von Ungeduld, mangelnder Verständigungsbereitschaft oder gar Respektlosigkeit und Aggression geprägt. Das macht auch nicht vor der Tür eines Nachbarschaftshauses halt.
Mehr denn je müssen sie sich als Orte erweisen, die Menschen zunächst Raum geben, um zur Ruhe zu kommen, sich aufgehoben und akzeptiert zu fühlen. Nachbarschaftshäuser müssen, trotz des gereizten Umfeldes, Situationen schaffen, in denen Gespräche möglich sind. Kennen sich Menschen aus der Nachbarschaftseinrichtung besser, gehen sie später auch sensibler mit Meinungen um, die von ihrer abweichen. Das Interesse, die aufgebaute Beziehung zu erhalten, überwiegt gegenüber der Ablehnung, weil jemand andere Auffassungen hat.
Natürlich können Leiter*innen von Nachbarschaftshäusern nicht ständig im Blick behalten, was in allen Veranstaltungen oder am Kaffeetisch im offenen Bereich ihres Hauses geschieht. Aber sie können ihre Mitarbeiter*innen und auch externe Trainer*innen und Vortragende einbeziehen in die Etablierung oder Stärkung einer demokratischen Gesprächskultur. In den Teamsitzungen können regelmäßige Feedbacks dies berücksichtigen. Die Benennung einer Anlaufstelle für Diskriminierungsvorfälle ist eine weitere strukturelle Maßnahme, um rechtzeitig auf Fehlentwicklungen reagieren und Mitarbeiter*innen Unterstützung bieten zu können.
Viele Nachbarschaftshäuser haben Leitbilder erarbeitet und Hausordnungen formuliert und ausgehängt. Dies erübrigt zwar nicht, die Verhaltenskodizes im alltäglichen Miteinander immer mal wieder anzusprechen, bietet aber Orientierung. Folglich sollten sie auch den externen Mitarbeiter*innen und freiwilligen Helfer*innen bekannt sein. Zudem stärken Regelungen in einer Hausordnung im Streitfall die Position von Gastgeber*innen und Moderator*innen. Bei Veranstaltungen, die Konfliktpotenzial bergen, sollte vorher geklärt werden, ob ein Awareness-Team erforderlich ist, wer zur Unterstützung der Moderator*in auf aggressiv auftretende Personen deeskalierend einwirkt oder wer im Zweifelsfall das Hausrecht ausüben kann.
Nachbarschaftshäuser als Demokratielernorte
Schon ein Gesprächskreis zum Thema Übergang in die Nacherwerbsphase oder eine Informationsveranstaltung zum Thema Mietpreisbremse kann ein Beitrag zur Einübung demokratischer Spielregeln sein. Werden für solche Informations- und Diskussionsveranstaltungen Gesprächsregeln gemeinsam verabschiedet und achtet die Moderator*in der Veranstaltung auf Regelkonformität sowie darauf, dass möglichst viele der Anwesenden zu Wort kommen, trägt das zu einer positiven Erfahrung bei. Werden nicht nur inhaltliche Aspekte sondern auch der Umgang miteinander und auch das Vorgehen der Moderator*in zum Ende der Veranstaltung in einer kurzen Zusammenfassung resümiert, kann diese Erfahrung noch verstärkt werden.
Natürlich machen Nachbarschaftshäuser “Demokratie” durch Formate wie “Demokratiecafes”, “Demokratiewerkstätten” oder durch Trainings zum “Argumentieren gegen Rechts” auch explizit zum Thema. Oder sie rufen zur Teilnahme an Aktionen von Demokratiebündnissen in ihrer Kommune auf. Wichtig bleibt: Ob demokratische Grundrechte, die Partizipation oder der Kampf gegen Rechtsextremismus thematisiert werden und welche Formate dafür angeboten werden, sollte ganz von den Bedürfnissen der Bewohner*innen des Stadtteils abhängen. Von großer Bedeutung ist, dass solche Veranstaltungen möglichst direkt mit Optionen verknüpft werden, sich konkret einbringen zu können; sei es in einer bereits bestehenden lokalen Initiative, bei der Bildung einer neuen Projektgruppe, die gemeinsam ein lokales Problem anpacken will oder in einem Seminar etwas Neues lernen möchte. Es geht auch darum, Möglichkeiten zum Engagement im Stadtteil aufzuzeigen, Menschen zu ermutigen, sich an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Ziel muss sein, Wege zu mehr Selbstwirksamkeit zu ebnen, Beziehungen zwischen Nachbar*innen zu stärken und zusätzliche aufzubauen. Selbstwirksamkeitserfahrungen und soziale Einbindung können so dem Vertrauensverlust in den sozialen Zusammenhalt entgegenwirken. Solidarität entsteht aber nicht durch Apelle, sondern kann angeregt werden durch Gespräche über die Bedeutung von Gemeinschaftssinn und eventuell auch darüber, warum er verloren gegangen ist (vgl. More in Common 2022, S.7).
Eine weitere wichtige demokratiefördernde Funktion von Nachbarschaftshäusern besteht darin, dass sie Räume für Initiativen aus dem Stadtteil (Selbsthilfegruppen, Obdachlosen- oder Mieter*inneninitiativen etc.) zur Verfügung stellen, die sich um Lösungen für lokale Bedarfe bemühen (vgl. Kersten et al. S.76ff). Auch dadurch bieten sie mehr Menschen die Möglichkeit, sich gesellschaftlich einzubringen und als selbstwirksam zu erleben.
Die Herausforderungen wachsen
Die Tatsache, dass gesellschaftliche Konfliktlagen und die Enttäuschung über die bestehende Demokratie in die Einrichtungen hineingetragen werden, stellt allerdings hohe Anforderungen an die Leitungskräfte und das Personal. Mehr denn je kommt es auf Haltung an. Sie kann verstanden werden als Verdichtung eines eigenen Wertekanons, der auch im Alltag präsent bleibt und von den Leitungskräften in den Häusern vorgelebt wird. Umgesetzt wird das beispielsweise durch Routinen im Umgang mit Besucher*innen, die Positionierung zu sozialen und politischen Entwicklungen im Stadtteil oder auch durch die wiederholte Reflexion zu Vorkommnissen in den Einrichtungen.
Umso deutlicher wird, dass es auf gute Information, eine wertschätzende und offene Gesprächskultur und methodische Unterstützung für die Teams ankommt. Beratung von außen, durch Supervision und Trainings für die Mitarbeiter*innen sind dabei wichtige Stützen. Kooperationen mit Beratungseinrichtungen und Fachleute für spezifische politische Themen müssen dazu ausgebaut werden. Viele Einrichtungen haben damit bereits gute Erfahrungen gemacht z.B. mit Trainings zu Argumenten gegen Rechts oder mit Empowermentworkshops für Mitarbeiter*innen, die Opfer von Diskriminierung geworden sind.
In der aktuellen Krisensituation stehen Nachbarschaftshäuser neben den genannten Anforderungen zusätzlich einer dreifachen Bedrohung gegenüber:
Erstens einer Behinderung oder grundsätzlichen Infragestellung ihrer Arbeit durch rechtspopulistische Akteure. Insbesondere AfD-Politiker*innen versuchen durch Anfragen in Landesparlamenten die Arbeit von sozialen Einrichtungen zu behindern. Ihr Ziel ist, Einrichtungen damit zu beschäftigen, sich zu rechtfertigen, Nachweise für Ausrichtung ihrer Arbeit und die Verwendung finanzieller Förderung vorzulegen. Gerne unterstellen sie eine Verletzung des Neutralitätsgebots und zweifeln die Gemeinnützigkeit des Trägers an. Beratungsstellen wie z.B. die Mobile Beratung gegen Rechts bieten dazu Hilfen an. (siehe Literaturhinweise)
Zweitens greifen offen faschistische Gruppierungen auch physisch immer wieder Häuser an, beschmieren oder bekleben Türen, werfen Schreiben ein und bedrohen Mitarbeiter*innen. Das erfordert Schutzkonzepte gegen diese Angriffe von außen und starke Bündnispartner*innen - auch in der Kommunalpolitik.
Drittens ist in der neuen Legislaturperiode ab 2025 erneut eine umfassende Kürzungswelle im Sozialbereich wahrscheinlich. Bereits die aktuellen Kürzungen bedrohen auch Nachbarschaftshäuser und Stadtteilzentren sowie ihre Angebote. Sie sollten daher ihre Arbeit verstärkt öffentlich präsentieren und auf ihre Bedeutung für die Entwicklung sozialen Zusammenhalts in der Gesellschaft verweisen. Sie sollten proaktiv den Kontakt zu den Abgeordneten in ihrem Stadtparlament oder zu Bürgermeister*innen und Dezernent*innen nutzen.
Sozialer Zusammenhalt wird nur dann entstehen, wenn sich Menschen als gleichwertig und als selbstwirksam erfahren. Das ist in Nachbarschaftshäusern, Stadtteilzentren und Mehrgenerationenhäusern möglich. Wenn zudem eine leistungsfähige Infrastruktur und effiziente, bürgernahe Verwaltung vorhanden sind wie auch ausreichende Angebote der Daseinsvorsorge, kann ein Grundgefühl von sozialer Absicherung entstehen. Nachbarschafts- und Mehrgenerationenhäuser können sich den aktuellen Herausforderungen nur dann gewachsen zeigen und mit ihrer Arbeit einen Beitrag zur Stabilisierung der Demokratie leisten, wenn sie als Teil der Daseinsvorsorge in den Kommunen ausreichend finanziert werden.
Literatur:
AWO (2019): Positionen gegen rechts. Argumente gegen rechtsradikale und menschenfeindliche Einstellungen. Unser Selbstverständnis für eine vielfältige und solidarische Gesellschaft. Herausgeber AWO-Bundesverband, Berlin. https://demokratie.awo.org/wp-content/uploads/2019-AWO-Positionen-gegen-Rechts-vierte-Auflage.pdf
FGZ - Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (2023): Entkoppelte Lebenswelten. Kurzbericht. Bremen. https://fgz-risc.de/fileadmin/media/publikationen/Kurzfassung_1._FGZ-Zusammenhaltsbericht_final.pdf
Kersten, J./Neu, C. / Vogel, B. (2022): Das Soziale-Orte-Konzept. Zusammenhalt in einer vulnerablen Gesellschaft. Transkript-Verlag, Bielefeld. https://www.sozialeorte.de/soziale-orte
Manthe, R. (2024): Demokratie fehlt Begegnung. Über Alltagsorte des sozialen Zusammenhalts. Transkript-Verlag, Bielefeld.
mbr - Mobile Beratung gegen Rechts (2024): Auf die Straße fertig los! Handlungsempfehlungen für Versammlungen. https://www.mbr-berlin.de/publikationen/auf-die-strasse-fertig-los-handlungsempfehlungen-fuer-versammlungen-2024/
Weitere Handreichungen:
https://www.mbr-berlin.de/publikationen-und-handreichungen/
mbr - Mobile Beratung gegen Rechts (2008): Handreichung “Raumnutzungsvertrag” https://www.mbr-berlin.de/en/publikationen/raumnutzungsvertrag-2008/
More in Common e.V. (2019): Die andere deutsche Teilung. Zustand und Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. https://www.dieandereteilung.de/?trk=public_post_comment-text
More in Common e.V. (2021): Begegnung und Zusammenhalt: Wo und wie Zivilgesellschaft wirken kann. https://www.moreincommon.de/media/0vbnyicu/begegnung_und_zusammenhalt_moreincommon_orte.pdf
More in Common e.V. (2022): Navigieren im Ungewissen. Impulse zur Zukunft der Gesellschaft.
https://www.moreincommon.de/media/drpov0qr/moreincommon_publikation_studie_navigierenimungewissen_zukunft.pdf
Pickel, S. / Celik, K. / Decker, O. (2024): Verwahrloste Demokratie? Politische Kultur und Unterstützung der Demokratie in Deutschland. (S.181-209) In: O. Decker, J. Kiess, A. Heller, E. Brähler: Vereint im Ressentiment. Autoritäre Dynamiken und rechtsextreme Einstellungen, H. Böll-Stiftung, O. Brenner-Stiftung. Leipzig. leipziger-autoritarismus-studie-2024-vereint-im-ressentiment-autoritaere-dynamiken-und-rechtsextreme-einstellungen.pdf
WZB-Wissenschaftszentrum Berlin (2024): Demokratie: Vertrauen-Grundrechte-Populismus. WZB-Mitteilungen Nr.183, Berlin.
Gute Projektbeispiele, um explizit zu Demokratie miteinander ins Gespräch zu kommen:
Das Demokratiedinner in Stadtteilzentrum Berlin-Pankow. https://www.stz-pankow.de/angebote/demokratie-dinner/
Das Demokratie-Café im Kulturzentrum Luise in München. Im Rahmen des Forschungsprojekts Repair Democracy. https://www.luise-kultur.de/demokratiecafe Dort findet sich auch ein Toolkit zum Runterladen.
Demokratiewerkstatt in Köln-Chorweiler https://demokratiewerkstatt.com/unsere-ziele/
Demokratiebildung in der Jugendhilfe in Leipzig https://www.soziale-dienste-jugendhilfe.de/demokratie-bildung/
Wichtige Demokratielernorte sind auch die “Tage der offenen Gesellschaft”, die seit mehreren Jahren im Juni in der ganzen Republik stattfinden und an denen sich auch Stadtteilzentren beteiligen: https://offenegesellschaft.org/tdog/
Oder Stadtteilzentren nutzen die Gelegenheit der “Woche der Nachbarschaft” zwischen dem 19.-25. Mai 2025, um - oft auch im öffentlichen Raum - Austauschformate anzubieten: https://das-fest-der-nachbarn.de/
Autor:
Veit Hannemann ist Dipl. Politologe, Kommunikationstrainer und Coach und war für das Nachbarschaftshaus Urbanstraße e.V. mehrere Jahre als Gemeinwesenarbeiter und Stadtteilkoordinator in Berlin-Kreuzberg tätig. Anregungen zu diesem Beitrag sind auch durch Redebeiträge bei der VskA-Jahrestagung “Demokratie - jetzt erst recht!” im Oktober 2024 in Köln entstanden.
Organisation:
NHU Nachbarschaftshaus Urbanstraße
Urbanstraße 21, 10961 Berlin
